Turbulenzen im Rathaus Erdrutsch in Dresden: Rot-Grün-Rot verliert die Mehrheit

Am häufigsten fiel der Name eines Sozialdemokraten, der gar nicht mehr im Stadtrat sitzt, sondern den Freistaat Sachsen bei der Europäischen Union vertritt: Christian Avenarius. Im April zog sich der SPD-Fraktionsvorsitzende Avenarius aus dem Stadtrat zurück. Er habe vermittelt und ausgeglichen, alle mitgenommen, lobten Christian Bösl, Thomas Blümel und Peter Bartels. Ohne Avenarius sei vieles anders geworden. Das Klima in der Fraktion, die Zusammenarbeit. Die drei SPD-Stadträte warfen am Mittwoch hin und traten aus der Fraktion aus. Gleichzeitig gründeten sie mit dem fraktionslosen Stadtrat Jan Kaboth die Bürgerfraktion.

Ein politisches Erdbeben allemal, weil nun auch im Dresdner Rathaus nichts mehr so ist, wie es seit Mai 2014 war. Die Kooperation aus Linken, Grünen und SPD verfügt über keine Mehrheit mehr. Auf 34 Stimmen kommt das Bündnis noch im Stadtrat, der 70 Sitze hat. Zusätzlich ist Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) stimmberechtigt. Was fast noch schwerer wiegt: Auch in den Ausschüssen fehlt Rot-Grün-Rot eine Stimme zur Mehrheit: Die SPD muss einen ihrer zwei Sitze an die Bürgerfraktion abgeben.

„Wir wollen das politische Klima ändern“, erklärte Bösl, „der sehr starke Kooperationsblock war sich seiner Mehrheit sicher und hat Kommunikation zunehmend für überflüssig gehalten. Es herrschte eine Arroganz der Macht.“ Mit einer neuen Fraktion in der Mitte des politischen Spektrums könne das Lagerdenken aufgebrochen werden. „Lasst uns miteinander reden“, laute sein Appell an alle Fraktionen des Stadtrates.

Er habe schon oft bei Entscheidungen, von denen er nicht überzeugt war, im Sinne der Kooperation die Hand heben müssen, erklärte Blümel. „Das hält man eine Weile durch. Aber irgendwann sagt man sich: Das geht nicht mehr.“ Die Nominierung der SPD-Spitzenkandidaten für die Stadtratswahl sei ein einschneidendes Erlebnis für ihn gewesen, so Blümel: „Nach über zehn Jahren wurde ich öffentlich bloßgestellt, herabgewürdigt und gedemütigt.“

Bartels sagte, er habe mit immer größerer Verwunderung registriert, wie er als liberaler eingestellter Mensch in der Fraktion wahrgenommen worden sei. „Wenn mir ein Vorstandsmitglied vorwirft, ich schade der SPD, dann kann ich mich nur wundern.“ Blümel und Bösl kündigten ihre Parteiaustritte an, Bartels war nicht SPD-Mitglied.

„Ich freue mich, dass wieder eine Bürgerfraktion auflebt“, erklärte Kaboth, „wir haben früher zwischen den Blöcken moderiert. Es wäre schön, wenn wir das wieder schaffen könnten.“ Bösl erklärte, die neue Fraktion werde weder eine Mehrheitsbeschafferin für Rot-Grün-Rot noch für die CDU sein. „Wir wollen vernünftigen Vorschlägen für diese Stadt zustimmen.“

Auch die Bürgerfraktion wolle, dass noch in diesem Jahr der Haushalt beschlossen wird. Dass der Beschluss wie ursprünglich geplant am 22. November fällt, sei aber fraglich: „Bisher hat Rot-Grün-Rot noch nichts vorgelegt“, erklärte Finanzexperte Blümel, der zugleich Veränderungsbedarf sieht: 25 Euro pro Einwohner Budget für die Stadtteile seien mit ihm nicht zu machen, kündigte er an.

CDU-Fraktionsvorsitzender Jan Donhauser erklärte: „Wir müssen jetzt mit der neuen Situation umgehen. Wir sind als größte Fraktion im Stadtrat bereit, Gespräche zu führen.“ Linke-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Feske sprach von einem „Rachefeldzug“ dreier Stadträte, die das Vertrauen der SPD verloren hätten, gegen ihre Partei. „Dies ist verantwortungslos.“ Grünen-Fraktionsvorsitzende Christiane Filius-Jehne wies darauf hin, dass Rot-Grün-Rot die stärkste politische Kraft im Stadtrat bleibt: „Oder will jemand mit Nazis und AfD einen Haushalt beschließen?“ Mit-Fraktionsvorsitzender Thomas Löser erklärte, er bedauere den Schritt und hoffe, dass es keinen Stillstand in Dresden gebe.

„Wir bedauern, dass alle drei aus verletzen Eitelkeiten die gemeinsame sozialdemokratische Sacharbeit für Dresden verlassen haben. Die sechs Mitglieder der SPD-Fraktion werden das sozialdemokratische Programm weiter und mit noch mehr Kraft verfolgen“, erklärte der SPD-Fraktionsvorstand. Die SPD habe bei der Aufstellung der Spitzenkandidaten für die Kommunalwahl die richtige Entscheidung getroffen.